Der Tod Rossinis ist der Ausgangspunkt für die Entstehung von Verdis Requiem: Giuseppe Verdi (1813-1901) war längst zu einer Integrationsfigur der italienischen Nation geworden; der Ruf „Viva V.E.R.D.I“. hatte sich als Kürzel für „Viva Vittorio Emmanuela Re d'Italia“ und damit für die Forderung nach einem gesamt-italienischen Reich eingebürgert. Dieser Verdi, der sich auf Cavours Bitte 1860 zum Abgeordneten wählen ließ und 1874 Senator wurde, regte als Ehrung für den bislang bedeutensten Opernkomponisten Italiens an, daß die angesehensten italienischen Komponisten gemeinsam eine Totenmesse für den ersten Jahrestag von Rossinis Tod schreiben sollten. Auch wenn diese Aufführung 1869 scheiterte, so kam das unter dreizehn Komponisten aufgeteilte Gemeinschaftswerk zustande.Verdi selbst schrieb das Libera me, das später in seine Messa da Requiem eingehen sollte.Auslöser für seine Komposition des Requiems war dann der Tod von Alessandro Manzoni (1785-1873), der durch seinen Roman I Promessi Sposi (Die Verlobten/Die Brauleute) und nicht zuletzt seine Rolle bei der Schaffung einer modernen italienischen Literatursprache zu einem der Leitbilder der italienischen Befreiungs- und Einigungsbewegung geworden war.Verdi war von der Todesnachricht tief erschüttert.Am ersten Todestag, dem 22. Mai 1874, erklang in Mailand in der Kirche San Marco erstmalig die Messa da Requiem per l'anniversario della morte di Manzoni; sie wurde drei Tage später im Teatro alla Scala wiederholt, ebenfalls unter Verdis Leitung. Das zwischen Aida und Otello entstandene Werk war von Anfang an umstritten. Verdi wurde der Vorwurf gemacht, es sei zu opernhaft und keine geistliche Musik. Hinter dieser Kritik verbirgt sich auch eine grundsätzliche Debatte zwischen Historismus und Moderne. Das Requiem hat gewiß Züge, die über den rein kirchlichen Kontext einer Totenmesse hinausweisen, und satztechnische Parallelen zu Verdis Bühnenwerken (in denen es oft um Grenzerfahrung und Tod geht) sind nachweisbar. Indessen steht Verdi damit nicht allein. Die romantische Deutung von Mozarts Requiem als dramatisches Kunstwerk ging in diese Richtung, und schon lange galt die Gattung auch dem kollektiven Gedenken: In Paris wurde die Grande messe des Morts von Gossec 1789 als Requiem auf die beim Sturm auf die Bastille umgekommen Citoyens aufgeführt,und Berlioz schrieb seine Große Totenmesse zum Gedenken an die Opfer der 1830er Julirevolution. Verdis sehr individueller Beitrag zur Gattung vereint Trauer und Hoffnung in besonderer Weise. Das Requiem sprengt den Rahmen einer liturgisch gebundenen Aufführung im Kirchenraum – vielleicht passend zu einer Zeit, die von blutigsten Kriegen und Unruhen geprägt war und in der zugleich die Hoffnung auf eine bessere politische Zukunft, auf nationale Einigung Italiens, sich zu erfüllen schien. Gewaltige Dramatik der Massen und Ruhe des Individuums, Dies Irae und Libera me, Zorn und flehende Bitte um Erlösung – zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Verdis Musik. Sie erlaubt eine vielschichtige Deutung, auch jenseits katholischer Tradition. Die Kritik von George Bernard Shaw, die Messa da Requiem sei Verdis größte Oper, konnte den Komponisten wohl kaum treffen:Verdi schrieb am 28. Februar 1874 an Camille Du Locle, den Direktor der Pariser Opéra-Comique: „Ich arbeite an meiner Messa und wirklich mit großer Freude. Mir scheint, daß ich ein ernster Mensch geworden und nicht mehr der Bajazzo des Publikums bin, der Tambour und große Trommel rührt und »herein, herein, hereinspaziert usw.« schreit.“ Und am 26.April 1874, im Vorfeld der Uraufführung, ließ er Giulio Ricordi brieflich wissen: „Ihr werdet besser als ich verstehen, daß diese Messe nicht wie eine Oper gesungen werden darf; folglich werden mich Färbungen, die im Theater gut sein können, ganz und gar nicht befriedigen.“ Beate Angelika Kraus