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FRANZ LISZT

Franz Liszt war eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Musiklebens seiner Zeit, wurde aber nach seinem Tode zu wenig beachtet. Dass bis heute keine vollständige Gesamtausgabe seiner Kompositionen, kein thematisches Werkverzeichnis und keine entsprechende Edition der Briefe und Schriften vorliegt, ist eine Folge dieser Haltung. Inzwischen hat die Forschung diese Lücke erkannt. Allein Liszts umfangreiche Schriften zählen neben jenen Robert Schumanns und Richard Wagners zu den wichtigsten kunsttheoretischen Quellen zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Besondere Bedeutung gewannen sie für die frühe Wagner-Rezeption, für die Idee nationaler Kunstmusik sowie für die Auseinandersetzung über Inhalt und Form in der Musik. Die literarischen Werke Liszts waren bislang nur in einer bearbeiteten Ausgabe des 19. Jahrhunderts zugänglich; derzeit wird eine teilweise bereits erschiene historisch-kritische Edition vorbereitet (Verlag Breitkopf & Härtel, Wiesbaden).

Franz Liszt wird immer wieder als "Neudeutscher" bezeichnet. Als "Neudeutsche Schule" bezeichnete Franz Brendel seit 1859 die zuvor als "Zukunftsmusiker" oder "Fortschrittspartei" apostrophierten Komponisten Hector Berlioz, Franz Liszt und Richard Wagner und deren Anhänger. Der Begriff bürgerte sich dann ein für jene Richtung in Deutschland, die das Musikdrama und die Programmusik zum Inbegriff des Fortschritts in der Musik erklärte. Doch wer auf dem CD-Markt nach Aufnahmen der Graner Messe sucht, wundert sich, dass namhafte Dirigenten, Chöre und Orchester dieses Werk offenkundig gemieden haben.

Es mag eine Rolle spielen, dass der notorische Grenzgänger Liszt sich nicht in klassische Schemata einpassen läßt: Geboren wurde er in Raiding 1811, damals im deutschsprachigen Teil des zur k.&.k. Doppelmonarchie gehörenden Königreichs Ungarn. Sein erster wichtiger Lehrer wurde in Wien der Beethoven-Schüler Carl Czerny. Es war die Jugend in Paris, die Liszt maßgeblich prägte, wo er Freundschaft etwa mit Hector Berlioz schloß. Von Frankreich aus begann er seine Wanderjahre als international angesehener Klaviervirtuose und begründete zugleich die Konzertform des reinen Klavierabends. Später als Hofkapellmeister in Weimar prägte er den neuen Typus des die Interpretation gestaltenden Dirigenten und brachte in der dortigen Hofoper noch unbekannte Werke zur Aufführung. Ebenfalls in Weimar schrieb Liszt den Großteil seiner Symphonischen Dichtungen — einer Gattung der damaligen Avantgarde, für die er Maßstäbe setzte. Liszt, der sich zeitlebens mit Fragen einer angemessenen geistlichen Musik befasst hatte, wandte sich ab den 1860er Jahren verstärkt nach Rom, empfing dort 1865 die Weihen als Weltgeistlicher und nannte sich Abbé, ohne jedoch Priester zu werden. Ab 1869 bis zu seinem Tode 1886 verbrachte Liszt jeweils einige Monate des Jahres in Weimar, Rom und Budapest. Sehr interessiert an den politischen Ereignissen seiner Zeit, war er nicht nur in künstlerischer Hinsicht ein Visionär und Neuerer. Das Schicksal Ungarns lag ihm besonders am Herzen und wurde für den Vermittler zwischen den Kulturen zur Herausforderung.

Neben der Klaviermusik bildete die Vokalmusik und die Beschäftigung mit der Religion eine Konstante in Liszts Leben. Liszt schrieb mehr als sechzig geistliche Chorwerke. Bekannt sind vor allem die Oratorien Die Legende von der heiligen Elisabeth und Christus. Indessen hat Liszt neben einem Requiem vier sehr unterschiedliche Messen komponiert: Die Messe für Männerchor mit Begleitung der Orgel (Erstfassung 1846/1847), die Missa solennis zur Einweihung der Basilika in Gran für Soli, Chor, Orgel und Orchester (1855, revidiert 1857-1858), die am römischen Ideal der Palestrina-Zeit orientierte Missa choralis für Chor und Orgel (1865) und die Ungarische Krönungsmesse (1867).

Beate Angelika Kraus

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